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Der Schäfer und die Schlange

Märchen von Ludwig Bechstein, Seite 2 ( von 2 )

Befreie mich, Du Treuer, befreie mich, um alles Heiles willen flehe ich Dich an." Da sank das Mädchen nieder vor die Füße des Schäfers, und umfasste ihn fest, und blickte in Tränen zu ihm empor. Dem Jüngling aber bebte das Herz vor Entzücken, und er hub das Engelmägdlein auf und stammelte: "O sage nur, was soll ich tun, wie soll ich Dich befreien, Du schöne Liebe?" Sie sprach: "Komm morgen um dieselbe Stunde wieder hierher, und wenn ich da in meinem Schlangenleib Dir erscheine, und Dich umwinde und Dich dreimal küsse, so erschrick nur nicht, o so erschrick nur nicht, sonst muss ich abermals auf hundert Jahre hier verzaubert schmachten." Sie verschwand in diesem Augenblick; und es tönte wieder ein leises Singen und Seufzen unter dem Stein hervor.
Am folgenden Tage um die Mittagsstunde harrte der Schäfer, nicht ohne Bangen an jenem Ort, er flehte zum Himmel um Stärke und Standhaftigkeit in dem grauenvollen Augenblick des Schlangenkusses. Und schon wand sich die Schlange silberweiß unter dem Stein hervor, und schlich dem Jüngling zu, und ringelte sich um seinen Leib und hob das Schlangenhaupt mit den hellen Augen empor zum Kusse; aber der Jüngling blieb stark und duldete die drei Küsse. Da geschah ein mächtiger Schlag, da rollten furchtbare Donner um den ohnmächtig hingesunkenen Jüngling, und eine Zauberverwandlung ging rings um ihn vor, und wie er wieder erwachte, lag er auf weichen, seidenen Kissen, in einem wundervoll geschmückten Zimmer, und das holde Mädchen kniete vor seinem Lager und hielt seine Hand an ihr Herz. "O, sei gedankt, Himmel!" rief sie, als er die Augen aufschlug, "o habe Dank, Herzensjüngling, für meine Rettung, und nimm zum Lohn mein schönes Land , und dieses schöne Schloss mit allen kostbaren Schätzen, und nimm mich als Dein treues Weib an. Du sollst nun glücklich sein und sollst Freuden in Fülle haben."
Und dieser Schäfer wurde glücklich und froh; jene Sehnsucht seines Herzens, die ihn so oft hin nach dem Stein, zur stillen Einsamkeit, getrieben - ward herrlich befriedigt. Er lebte, der Welt entrückt, im Schoße des Glücks, mit seiner schönen Gemahlin; und er sehnte sich nicht auf die Erde, nicht zu seinen Lämmern zurück. Aber in jenem Dorfe war ein großes Leid um den so plötzlich verschwundenen Schäfer, die Leute suchten ihn im Tal, bei dem Stein unterm Birnbaum, wo er zuletzt hingegangen war, doch weder der Schäfer, noch der Stein, noch die Quelle, noch der Birnbaum waren mehr zu finden, und kein Auge sah von diesem Allem je das Mindeste wieder.

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