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Der kleine
Däumling
Märchen von Ludwig Bechstein, Seite 1 ( von 3 )
Es war einmal ein armer Korbmacher, der hatte mit seine Frau sieben jungen, da
war immer einer kleiner als der andere, und der Jüngste war bei seiner
Geburt nicht viel über Fingers Länge, daher nannte man ihn
Däumling. Zwar ist er hernach noch in etwas gewachsen, doch nicht gar zu
sehr, und den Namen Däumling hat er behalten. Doch war es ein gar kluger
und pfiffiger kleiner Knirps, der an Gewandtheit und Schlauheit seine
Brüder alle in den Sack steckte.
Den Eltern ging es erst gar übel, denn Korbmachen und Strohflechten ist
keine so nahrhafte Profession, wie Semmelbacken und Kälberschlachten, und
als vollends eine teure Zeit kam, wurde dem armen Korbmacher und seiner Frau
himmelangst, wie sie ihre sieben Würmer satt machen sollten, die alle mit
äußerst guten Appetit gesegnet waren. Da beratschlagten eines
Abends, als die Kinder zu Bette waren, die beiden Eltern mit einander, was sie
anfangen wollten, und wurden Rates, die Kinder mit in den Wald zu nehmen, wo
die Weiden wachsen, aus denen man Körbe flicht, und sie heimlich zu
verlassen. Das Alles hörte der Däumling an, der nicht schlief, wie
seine Brüder, und schrieb sich der Eltern übeln Ratschlag hinter die
Ohren. Simulierte auch die ganze Nacht, da er vor Sorge kein Auge zutun konnte,
wie er es machen sollte, sich und seine Brüder zu helfen.
Früh morgens lief der Däumling an den Bach, suchte sich die kleinen
Taschen voll weißer Kiesel, und ging wieder heim. Seinen Brüdern
sagte er von dem, was er erhorcht hatte, kein Sterbenswörtchen. Nun
machten sich die Alten auf in den Wald, hießen die Kinder folgen, und der
Däumling ließ ein Kieselsteinchen nach dem andern auf den Weg
fallen, das sah Niemand, weil er, als der jüngste, kleinste und
schwächste, stets hintennach troddelte. Das wussten die Alten schon nicht
anders.
Im Wald machten sich die Alten unbemerkt von den Kindern fort, und auf einmal
waren sie weg. Als das die Kinder merkten erhoben sie allzumal, Däumling
ausgenommen, ein Zetergeschrei. Däumling lachte und sprach zu seinen
Brüdern: "Heult und schreit nicht so jämmerlich! Wollen den Weg
schon allein finden." Und nun ging Däumling voran und nicht
hinterdrein, und richtete sich genau nach den weißen Kieselsteinen, fand
auch den Weg ohne alle Mühe.
Als die Eltern heim kamen, bescherte ihnen Gott Geld ins Haus, eine alte
Schuld, auf die sie nicht mehr gehofft hatten, wurde von einem Nachbar an sie
abgezahlt, und nun wurden Esswaren gekauft, dass sich der Tisch bog. Aber nun
kam auch das Reueleid, dass die Kinder verstoßen worden waren, und die
Frau begann erbärmlich zu lamentieren: "Ach Du lieber, allerliebster
Gott! Wenn wir doch die Kinder nicht im Wald gelassen hätten! Ach, jetzt
könnten sie sich dicksatt essen, und so haben die Wölfe sie
vielleicht schon im Magen! Ach, wären nur unsere liebsten Kinder da!"
"Mutter da sind wir ja!" sprach ganz ruhig der kleine Däumling,
der bereits mit seinen Brüdern vor der Türe angelangt war, und die
Wehklage gehört hatte; öffnete die Türe und herein trippelten
die kleinen Korbmacher - eins, zwei, drei, vier, fünf sechs sieben. Ihren
guten Appetit hatten sie wieder mitgebracht, und dass der Tisch so reichlich
gedeckt war, war ihnen ein gefundenes Essen. Die Herrlichkeit war groß,
dass die Kinder wieder da waren, und es wurde, so lange das Geld reichte in
Freuden gelebt, dies ist armer Handarbeiter Gewohnheit.
Nicht gar lange währte es, so war in des Korbmacher Hütte Schmalhans
wieder Küchenmeister und ein Kellermeister mangelte ohnehin, und es
erwachte aufs Neue der Vorsatz, die Kinder im Walde ihrem Schicksal zu
überlassen. Da der Plan wieder als lautes Abendgespräch zwischen
Vater und Mutter verhandelt wurde, so hörte auch der kleine Däumling
alles, das ganze Gespräch, Wort für Wort, und nahm sich's zu Herzen.
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