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Der kleine
Däumling
Märchen von Ludwig Bechstein, Seite 2 ( von 3 )
Den andern morgen wollte Däumling abermals aus dem Häuschen
schlüpfen, Kieselsteine aufzulesen, aber o weh, da war's verriegelt, und
Däumling war viel zu klein, als dass er den Riegel hätte erreichen
können, dachte aber sich anders zu helfen. wie es fort ging zum Walde,
steckte Däumling Brot ein, und streute davon Krümchen auf den Weg,
meinte ihn dadurch wieder zu finden.
Alles begab sich wie das Erstemal, nur mit dem Unterschied, dass Däumling
den Heimweg nicht fand, dieweil die Vögel alle Krümchen rein
aufgefressen hatten. Nun war guter Rat teuer, und die Brüder machten ein
Geheul im Walde, dass es zum Steinerbarmen war. Dabei tappten sie durch den
Wald, bis es ganz finster wurde, und fürchteten sich über die
Maßen, bis auf Däumling, der schrie nicht und der fürchtete
sich nicht. Unter dem schirmenden Laubdach eines Baumes auf weichem Moos
schliefen die sieben Brüder, und als es Tag war, stieg Däumling auf
einen Baum die Gegend zu erkunden. Erst sah er nichts, als eitel
Waldbäume, dann aber entdeckte er das Dach eines kleinen Häuschens,
merkte sich die Richtung, rutschte vom Baum herab und ging seinen Brüdern
tapfer voran. Nach manchem Kampf mit Dickicht, Dornen und Disteln sahen alle
das Häuschen durch die Büsche blicken, und schritten guten Mutes
darauf los, klopften auch ganz bescheiden an der Türe an. Da trat eine
Frau heraus, und Däumling bar gar schön, sie doch einzulassen, sie
hätten sich verirrt, und wüssten nicht wohin? Die Frau sagte:
"Ach, ihr armen Kinder!" und ließ den Däumling mit seinen
Brüdern eintreten, sagte ihnen aber auch gleich, dass sie im Hause des
Menschenfressers wären, der besonders gern die kleinen Kinder
fräße. Das war eine schöne Zuversicht! die Kinder zitterten vor
Schrecken wie Espenlaub, als sie dieses hörten, hätten gern lieber
selbst etwas zu essen gehabt, und sollten nun statt dessen gegessen werden.
Doch die Frau war gut und mitleidig, verbarg die Kinder und gab ihnen auch
etwas zu essen. Bald darauf hörte man Tritte und es klopfte stark an die
Türe; das war kein Anderer, als der heimkehrende Menschenfresser. Dieser
setzte sich an den Tisch zur Mahlzeit, ließ Wein auftragen, und
schnüffelte, als wenn er etwas röche, dann rief er seiner Frau zu:
"Ich wittere Menschenfleisch!" Die Frau wollte es ihm ausreden, aber
er ging dem Geruch nach, und fand die Kinder. Die waren ganz hin vor Entsetzen.
Schon wetzte er sein langes Messer, die Kinder zu schlachten, und nur
allmählich gab er den Bitten seiner Frau nach, sie noch ein wenig am Leben
zu lassen, und aufzufüttern, weil sie doch gar zu dürr seien,
besonders der kleine Däumling. So ließ der böse Mann und
Kinderfresser sich endlich beschwichtigen. Die Kinder wurden zu Bett gebracht,
und zwar in derselben Kammer, wo ebenfalls in einem großen Bette
Menschenfressers sieben Töchter schliefen, die so alt waren, wie die
sieben Brüder. Sie waren von Angesicht sehr hässlich, jede hatte aber
ein goldenes Krönlein auf dem Haupt. Das alles war der Däumling
gewahr worden, machte sich ganz still aus dem Bette, nahm seine und der
Brüder Nachtmützen, setzte diese Menschenfressers Töchter auf,
und deren Krönchen sich und seinen Brüdern.
Der Menschenfresser trank viel Wein, und da kam ihm seine böse Lust wieder
an, die Kinder zu morden, nahm sein Messer, und schlich sich in die
Schlafkammer, wo sie schliefen, Willens, ihnen die Hälse abzuschneiden. Es
war aber stockdunkel in der Kammer, und der Menschenfresser tappte blind umher,
bis er an ein Bett stieß, und fühlte nach den Köpfen der darin
Schlafenden. Da fühlte er die Krönchen, und sprach: "Halt da!
Das sind Deine Töchter! Bald hättest du betrunkenes Schaf einen
Eselstreich gemacht!" Nun trappelte er nach dem andern Bette, fühlte
da die Nachtmützen, und schnitt seinen sieben Töchtern die Hälse
ab, einer nach der andern. Dann legte er sich nieder und schlief seinen Rausch
aus. Wie der Däumling ihn schlafen hörte, weckte er seine Brüder
schlich sich mit ihnen aus dem Hause, und suchten das Weite. Aber wie sehr sie
auch eilten, so wussten sie doch weder Weg noch Steg, und liefen in der Irre
herum voll Angst und Sorge, nach wie vor.
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