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Der goldne
Rehbock
Märchen von Ludwig Bechstein, Seite 2 ( von 2 )
Nun kamen beide, der Menschenfresser und seine Frau, daher gegangen und
letztere wollte sich die schöne Rose abbrechen, aber sie stach sich so
sehr, dass ihre Finger bluteten, und sie ärgerlich davon ging. Wie die
Alten fort waren, machten sich die Kinder eilig auf, und fuhren weiter und
kamen bald an einen Backofen, der voll Brot stand. Da hörten sie aus
demselben eine hohle Stimme rufen: "Rückt mir mein Brot, rückt
mir mein Brot." Schnell rückte Gretchen das Brot, und tat es in ihren
Wagen, worauf sie weiter fuhren. Da kamen sie an einen großen Birnbaum,
der voll reifer schöner Früchte hing, aus diesem tönte es
wieder: "Schüttelt mir meine Birnen!" Gretchen schüttelte
sogleich, und Hänschen half gar fleißig auflesen, und die Birnen in
den goldenen Wagen schütten. Und wieder kamen sie an einen Weinstock, der
rief mit angenehmer Stimme: "Pflückt mir meine Trauben!"
Gretchen pflückte auch diese und packte sie in ihren Wagen.
Unterdessen aber waren der Menschenfresser und seine Frau, daheim angelangt,
und hatten mit Ingrimm wahrgenommen, dass die Kinder ihren goldenen Wagen samt
Rehbock gestohlen, gerade wie diese beiden ebenfalls vor langen Jahren Wagen
und Rehbock gestohlen, und noch dazu bei dem Diebstahl auch einen Mord begangen
hatten, nämlich den rechtmäßigen Eigentümer erschlagen.
Der mit dem Rehbock bespannte Wagen nicht nur an für sich von großem
Wert, sondern er besaß auch noch die vortreffliche Eigenschaft, dass, wo
er hinkam, demselben von allen Seiten Gaben gespendet wurden, von Baum und
Beerstrauch, von Backofen und Weinstock. So hatten denn diese Leute, der
Menschenfresser und seine Frau, lange Jahre den Wagen, wenn auch auf,
unrechtmäßiger Weise, besessen, hatten sich gute Esswaren spenden
lassen, und dabei herrlich und in Freuden gelebt. Da sie nun sahen, dass sie
ihres Wagens beraubt waren, machten sie sich flugs auf, den Kindern nachzueilen
und ihnen die köstliche Beute wieder abzujagen. Dabei wässerte dem
Menschenfresser schon der Mund nach Menschenbraten; denn die Kinder wollte er
sogleich fangen und schlachten. mit rieseigen Schritten eilten die beiden Alten
den Kindern nach , und wurden dieselben bald von ferne ansichtig, weil sie
vorausfuhren. Die Kinder kamen jetzt an einen großen Teich, und konnten
nicht weiter, auch war weder eine Fähre, noch eine Brücke da, dass
sie hinüber hätten flüchten können. Nur viele Enten waren
darauf zu sehen, die lustig umherschwammen. Gretchen lockte diese ans Ufer,
warf ihnen Futter hin uns sprach:
"Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen,
Macht mir ein Brückchen, dass ich hinüber kann kommen!"
Da schwammen die Enten einträchtlich zusammen, bildeten eine Brücke
und die Kinder samt Rehbock und Wagen kamen glücklich ans andere Ufer.
Aber flugs hinterdrein kam auch der Menschenfresser, und brummte mit
hässlicher Stimme:
"Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen,
Macht mir ein Brückchen, dass ich hinüber kann kommen!"
Schnell schwammen die Entchen wieder zusammen, und trugen die beiden Alten
hinüber - meint ihr? nein! in der Mitte des Teiches, wo das Wasser am
tiefsten war, schwammen sie auseinander und der böse Menschenfresser nebst
seiner Alten plumpsten in die Tiefe und kamen um. Und Hänschen und
Gretchen wurden sehr wohlhabende Leute, aber sie spendeten auch von ihrem Segen
den Armen viel und taten viel Gutes, weil sie immer daran dachten wie bitter es
gewesen, da sie noch arm waren und betteln gehen mussten.
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