|
Die
grünlockige Fee
Provenzalisches Märchen, Seite 2 ( von 3 )
Eine liebreizende Fee zeigte sich.
Sie war klein, aber schön, jugendlich und liebend. Ihr schlanker Wuchs
ward nur durch einen Gürtel von Seeschilf bezeichnet. Ihre Augen waren
tausendmal glänzender, als der leuchtende Streif, der den Schiffen folgt
und ihre Zähne weißer und gleichstehender, als die Perlen ihrer
Wohnung. Ihre Stimme dieselbe Stimme, welche Stürmen und Ungewittern
befahl, war sanft. Klein und zart war ihre mächtige Hand, die nach ihrem
Willen Schiffe in den boden der Tiefe zog. Sie war die schönste aller
Feen, aber sie hatte grünes Haar.
"Brincan," sagte sie," ich liebe Dich!"
Sie fügte nichts mehr hinzu, denn Feen sprechen nur wenig, wenn sie
Sterblichen mit Liebe begegnen.
Brincan fand sich in ihren Armen wieder, ehe er nur noch Zeit gehabt hatte, ihr
zu antworten, und obgleich er blondes oder schwarzes Haar lieber als
grünes leiden mochte, so erwiderte er doch ihre Liebkosungen, denn er war
schön und jung.
Als sie so lange, wie sie es wünschte, bei einander zugebracht hatten,
sagte sie zu ihm: "Kehre zurück, mein junger Freund, zu Deinem Vater,
aber sprich nie von unserer Liebe; ich will Dir zwei Fische geben, um Dich
wegen Deiner Abwesenheit zu entschuldigen, und Du kannst sagen, Du habest Dich
bei den Fischen verspätet." Dieselbe Macht, welche Brincan nach dem
Palast der Fee gebracht hatte, trug ihn zurück zu seiner Barke; er bestieg
dieselbe, ohne dass seine Kleider nass geworden wären, mit seinen Fischen.
Die Nacht war gewichen und die Sonne ging auf, als er bei seinem Vater ankam.
Seine beiden Fische hatten eine so ungewöhnliche Gestalt, dass er nicht
wagte, sie zu überreichen; seine blonden Locken hatten außerdem in
der Umarmung der Fee einen grünen Anflug bekommen. Jedermann befragte ihn,
wegen seiner Fische und der Farbe seiner Haare, aber Brincan hütete sich
wohl, die Lippen zu öffnen, so sehr fürchtete er die Fee und ihre
schrecklichen Drohungen.
Umsonst suchte er das Seeufer zu meiden und nach den hohen Bergen zu fliehen,
um den Verführungen seiner seltsamen Gebieterin zu entgehen, eine
unwiderstehliche Macht drängte ihn immer in seine Barke und aus der Barke
nach dem geheimnisvollen Palast.
Endlich sah Brincan ein Mädchen, das ihm schöner, als die Fee zu sein
schien, und wurde dessen Geliebter. Er war jetzt mit der Liebe beschäftigt
und mied seine Barke, er floh das Ufer und wie nach Verhältnis das
Mädchen seine Liebkosungen erwiderte, verlor sein Haar den grünen
Anflug und wurde wieder blond.
Jetzt kam es ihm vor, als sei die verhängnisvolle Fahrt auf den Boden des
Meeres nur eine Täuschung der Sinne, der perlmutterne Palast nur ein
Traum, die reizende, grünlockige Fee weiter nichts, als verwirrte
Erinnerungen unruhigen Schlummers gewesen.
Feen sind mächtig und grausam; sie betrachten uns, die wir untergeordnet
beschaffen sind, als Spielzeug, das sie nach Wohlbefinden zerbrechen
können; wenn Jemand sie reizt, so vermag Nichts ihn vor der Rache zu
schützen.
Jedes Mal, wenn sich der unglückliche Brincan seiner Geliebten
näherte, bekam er einen Schlag von unsichtbaren Händen, dessen gelbe
Zeichen auf seiner weißen Haut zurückblieben; er bekam anfälle
von Trübsinn, und glaubte überall drohende Stimmen zu hören, die
ihn verfolgten. - Als die Fee ihn eine Zeitlang auf diese Weise gequält
hatte, erweckte sie in seiner Brust den Wunsch, die Barke wieder zu besteigen,
führte ihn weit von Marseille fort und zog ihn noch ein Mal in die Tiefe
herab.
|
|