|
Der Muhel
Rabbinisches Märchen, Seite 1 ( von 2 )
Es war einmal ein Mann, der sehr reich, aber über alle Maßen geizig
war, in seinem ganzen Leben keine gute Tat getan hatte, niemals den Armen auch
nur einen Heller an Wert gegeben hatten. -
Es trug sich in einer Winternacht zwischen Zwölf und Eins zu, dass ein
Mann kam und laut an die Tür des Geizhalses klopfte. Er öffnete das
Fenster, sah einen Mann an der Tür und fragte ihn, was er wolle. Dieser
erwiderte, er wünsche, dass er mit ihm gehe zu einem Dorfe, drei Meilen
weit von der Stadt, um einen Knaben zu beschneiden, der am nächsten Morgen
acht Tage als sein würde.
Nun müsst ihr wissen, dass der Mann, von dem wir reden, ein Jude und ein
Muhel war, d.h. Einer, dessen Amt es ist, die jungen Knaben zu beschneiden.
Trotz allem seinem Geiz in Geldgeschäften, war er nicht geizig in seinem
Amte, denn er glaubte an das Ende der Welt, und tat deshalb diese gute Tat.
Er willigte daher ein, mit dem Manne zu gehen, zündete ein Feuer an,
hängte seine Kleider davor, und legte die Instrumente, deren er zu der
Zeremonie bedurfte, bereit. Darauf ging er fort mit dem Fremden, den er gar
nicht kannte, obgleich es Winter, dunkel und regnerisch war, sie wanderten
vorwärts durch die Wildnis, - der unglückliche Muhel, der den Weg in
der Wildnis und im Dunkel nicht kannte, fiel dann und wann über die Steine
im Wege; sie gingen aber immer vorwärts, bis sie an einen großen und
hohen Berg mitten in der Wildnis kamen, wo nie Leute durchreisen und nie Leute
zu sehen sind, nur dunkle, dunkle Berge, die Alle, welche sie anschauen, mit
Schrecken erfüllen.
Der Mann, der mit dem Muhel kam, legte nun die Hand auf einen großen
Stein im Berg, so groß, dass fünfhundert Menschen ihn weder
wegbringen noch aufheben konnten, er hob ihn aber mit einer Hand auf. - Der
Platz öffnete sich und sie stiegen beide hinab. - Es waren viele Stufen
da, und es ging sehr tief in die Erde hinein und unten war eine große
Stadt.
Sie traten in einen großen schönen Palast, der schöne
Gärten hatte, wo viel Licht, Musik und großer Tanz von Männern
und Frauen. Als sie den Muhel sich nähern sahen, lachten sie und
verspotteten ihn, der arme Muhel aber war sehr erstaunt über Alles war er
sah, und fing an, als er es so anschaute, es in Betrachtung zu ziehen, und
darüber nachzudenken; dann sah er, wie es nicht menschlichen Wesen gleich
und waren und große Furcht kam über ihn, er konnte aber nicht
herauskommen oder sich retten, deshalb bezwang er sich und blieb ruhig.
Der Mann, der ihn dahin gebracht hatte, war einer von den Anführern, und
ein vornehmer Mann unter ihnen. Er bracht ihn in das Zimmer einer Frau, die in
Wochen lag, damit er das Kind sehen solle. - Der Mann ging darauf fort und
ließ ihn mit der Frau allein. Diese aber seufzte sehr tief und fing an zu
weinen. Der Muhel fragte sie, was ihr fehle? Da antwortete sie ihm:
"Weißt du nicht, wo und bei wem du bist?" - Er erwiderte, dass
er das nicht wisse und nicht gewagt habe zu fragen. - Sie erklärte ihm
nun: "Du bist im Lande der Mazikin, und alle diese Leute sind Mazikin, ich
bin aber ein Mensch wie du: denn einmal, als ich noch klein war, war ich allein
in einem dunklen Ort und diese Leute fingen mich und brachten mich hierher; ich
heiratete jenen Mann, der Einer der Vornehmen unter ihnen ist, und obendrein
ein Jude, denn es gibt verschiedenen Religionen unter ihnen; ich bin auch eine
Jüdin; und als ich diese Kind gebar, sprach ich mit meinem Manne und bat
ihn einen Muhel zu beschaffen, der es beschnitte; so brachte er dich hierher.
Du bist aber jetzt hier in großer Gefahr; denn du wirst nie im Stande
sein heraus zu kommen, und wirst wie sie werden. Da ich aber Mitleid mit dir
habe und besonders, weil du aus Gutherzigkeit hergekommen bist, das Kind zu
beschneiden, so will ich dir einen nützlichen Rat geben; nämlich,
wenn sie dich einladen zu essen oder zu trinken, rühre nichts an; denn
wenn du etwas von ihren Sachen genießt, wirst du wie sie werden, und
für immer hier bleiben müssen."
|
|