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Der Muhel
Rabbinisches Märchen, Seite 2 ( von 2 )
Der Gatte trat jetzt ein und sie gingen in die Versammlung, um das Morgengebet
zu sprechen. Dann kehrten sie wieder nach Hause zurück, um die
Beschneidung vorzunehmen. Der Muhel nahm einen Becher mit Wein und ließ
die Frau, das Kind und alle Anwesende davon kosten; denn das ist so Sitte. -
Der Mann aber, der den Muhel geholt hatte, sagte: "Du musst auch
kosten." Der Muhel erwiderte, das könne er nicht, denn er habe einen
bösen Traum gehabt und müsse fasten; dadurch entging er ihm. Er
wartete aber bis zum Abend, dann brachten sie ihm Speise und Trank, er
erwiderte indessen, er könne nicht eher essen, als bis er zwei oder drei
Tage gefastet habe.
Als der Mann, der ihn hingebracht hatte, sah, dass er weder essen noch trinken
wollte, so hatte er Mitleid mit ihm und sagte zu ihm: "Was ist mit dir,
warum willst du weder essen noch trinken." - "Herr, entgegnete der
Muhel, ich verlange und wünsche weiter nichts: als heim zu meiner Familie
gehen zu können, denn diese Woche feiern wir ein Fest, und ich muss bei
den Meinen sein; deshalb bitte ich euch demütig, bringt mich nach
Hause." - Er bat und beschwor ihn sehr ernstlich darum und die Frau
stimmte mit ein.
Der Mann sagte nun zu ihm: "Da du nach Hause zu gehen wünschest, so
komm mit mir; ich will dir ein Geschenk für deine Mühe geben. Komm,
damit du sehen und nehmen kannst, was dir gut dünkt. - Der Muhel
antwortete: "Ich wünsche nichts - als zu den Meinen
zurückzukehren." - "Dem ungeachtet, sagte der Mann, komm mit
mir, ich will dir merkwürdige Sachen zeigen, wie du sie noch nie gesehen
hast." -
Er ließ sich überreden, und ging mit ihm. Jener zeigte ihm mehrere
Zimmer voll Silber, Gold und Diamanten, Edelsteinen aller Arten, und eine Menge
anderer kostbarer Dinge, wie er sie noch nie gesehen hatte. Darauf führte
er ihn aus einem Zimmer in das andere und fragte ihn beständig, ob er
nicht etwas davon zu haben wünsche; wäre das der Fall, so möchte
er es nur nehmen. Endlich kamen sie in das letzte Zimmer, wo nur
Schlüsselbunde hingen. Der Muhel schlug erstaunt die Augen auf über
so viele Schlüssel und gewahrte sein eigenes Bund Schlüssel. Er sann
tief darüber nach, und der Mann fragte ihn: "Was starrst du so; ich
habe dir eine Menge kostbarer Sachen gezeigt, und du hast nicht so viel
Aufmerksamkeit darauf verwandt, als auf diese alten Schlüssel von geringem
Werte." -
"Zürne nicht ,Herr," erwiderte der Muhel, aber diese
Schlüssel gleichen den meinigen so und ich glaube, es sind
dieselben."
Er nahm die Schlüssel, untersuchte sie und zeigte dem Manne jeden
Schlüssel besonders. Endlich sagte dieser zu ihm: "Du hast Recht, es
sind deine Schlüssel. Wisse, dass ich der Herr bin über die Herzen
der Menschen, die niemals Gutes tun; und da du diese gute Tat der Beschneidung
vollziehst, und dein Leben auf gefährlichen Reisen wagst und mit Leuten
jeder Art gehst, um Gottes Gebot zu erfüllen, so nimm hier die
Schlüssel. Von nun an wird dein Herz geöffnet sein, und gut gegen den
Armen und du wirst lange und glücklich mit den Deinen leben. Komm nun mit
mir, ich will dich zu den deinen bringen. Schließe deinen Augen."
Er schloss die Augen und befand sich augenblicklich bei den Seinigen. - Er
begann nun Geld an alle Armen im Lande wöchentlich und monatlich zu
verteilen. die Welt ist aber immer begierig, Neues zu hören und die Leute,
ja selbst sein eigenes Weib, drangen so lange in ihn, bis er ihnen Alles von
Anfang bis Ende erzählte, und die ganze Welt freute sich sehr
darüber; sie taten den Armen viel gutes und wurden alle reich und
glücklich. Und der Muhel lebte eine lange und glückliche Zeit mit den
Seinen, ein Muster und Vorbild für alle Welt.
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