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Die Stopfnadel
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 1 ( von 2 )
Es war einmal eine Stopfnadel, die sich so sein dünkte, das sie sich
einbildete, eine Nähnadel zu sein.
"Seht nur darauf, dass ihr mich haltet!" sagte die Stopfnadel zu den
Fingern, die sie hervornahmen. "Verliert mich nicht! falle ich hinunter,
so ist es sehr die Frage, ob ich wieder gefunden werde, so fein bin ich!"
"Das geht doch an!" sagten die Finger, und fassten sie um den Leib.
"Seht ihr, ich komme mit Gefolge!" sagte die Stopfnadel, und dann zog
sie einen langen Faden nach sich, der aber keinen Knoten hatte.
Die Finger richteten die Stopfnadel gerade gegen den Pantoffel der Köchin,
an dem das Oberleder abgeplatzt war und jetzt wieder zusammen genäht
werden sollte.
"Das ist eine gemeine Arbeit!" sagte die Stopfnadel, "ich komme
nie hindurch, ich breche! ich breche!" - und da brach sie. "Habe ich
es nicht gesagt?" seufzte die Stopfnadel; " ich bin zu fein!"
"Nun taugt sie nicht mehr", meinten die Finger, aber sie mussten sie
doch festhalten, die Köchen betröpfelte sie mit Siegellack und
steckte sie dann wieder in ihr Tuch.
"Sieh, jetzt bin ich eine Busennadel!" sagte die Stopfnadel.
"Ich wusste wohl, dass ich zu Ehren kommen werde; wenn man etwas wert ist,
so wird man auch anerkannt." Dann lachte sie innerlich, denn von
außen kann man es einer Stopfnadel niemals ansehen, dass sie lacht; da
saß sie nun so stolz, als wenn sie in einer Kutsche führe, und sah
sich nach allen Seiten um.
"Sind sie von Gold?" fragte sie die Stecknadel, welche ihre Nachbarin
war. "Sie haben ein herrliches Äußeres und Ihren eigenen Kopf,
aber klein ist er! Sie müssen danach trachten, dass derselbe wächst,
denn man kann nicht Allen das Ende mit Lack betröpfeln!" Und darauf
hob sich die Stopfnadel so stolz in die Höhe dass sie aus dem Tuch in die
Gosse fiel, gerade als die Köchin spülte.
"Nun gehen wir auf Reisen", sagte die Stopfnadel; "wenn ich nur
nicht dabei verloren gehe!" Aber sie ging verloren.
"Ich bin zu fein für diese Welt!" sagte sie, als sie im
Rinnstein saß. "Ich habe ein gutes Bewusstsein, und das ist immer
ein kleines Vergnügen!" Die Stopfnadel behielt ihre Haltung und
verlor ihre gute Laune nicht.
Es schwamm allerlei über sie hin, Späne, Stroh und Stück von
Zeitungen. "Sieh wie sie segeln!" sagte die Stopfnadel. "Sie
wissen nicht, was unter ihnen steckt. Ich stecke, ich sitze hier. Sieh, da geht
nun ein Span, der denkt an nichts in der Welt, ausgenommen an einen
"Span", und das ist er selbst, da schwimmt ein Strohhalm, sieh, wie
der sich schwenkt, wie der sich dreht! Denke nicht soviel an dich selbst, du
könntest dich an einem Stein stoßen! Da schwimmt die Zeitung! -
Vergessen ist, was darin steht und doch macht sie sich breit! Ich sitze
geduldig und still, ich weiß was ich bin, und das bleibe ich!" -
Eines Tages lag etwas dicht neben ihr, was herrlich glänzte, und da
glaubte die Stopfnadel, dass es ein Diamant sei, aber es war eine Glasscherbe,
und weil dieselbe glänzte, so redete die Stopfnadel sie an und gab sich
als Busennadel zu erkennen. "Sie sind wohl ein Diamant?" - "Ja,
ich bin etwas der Art!" und so glaubte eins vom andern, dass sie recht
kostbar seien, und dann sprachen sie darüber, wie hochmütig die Welt
sei.
"Ja, ich habe in einer Schachtel bei einer Jungfrau gewohnt", sagte
die Stopfnadel, "und die Jungfrau war Köchin, sie hatte an jeder Hand
fünf Finger, aber etwas so Eingebildetes, als diese fünf Finger, habe
ich nicht gekannt, und doch waren sie nur da, um mich zu halten, mich aus der
Schachtel zu nehmen und mich in die Schachtel zu legen."
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