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Geschichte
des Königs und des Wanderers
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 1 ( von 1 )
Wisse, o König! einst beherrschte im äußersten Westen ein
König, der sehr gewalttätig war, und sowohl seine Untertanen, als
Fremde, die in sein Land kamen, unterdrückte. Jeder Fremde fürchtete
sich, sein Land zu betreten, denn es wurde ihm nur der fünfte Teil seines
Besitzes gelassen und die übrigen vier Fünfteile für den
König weggenommen. Es traf sich nun, dass einst ein Wanderer, der von
Jugend auf nur dem Gottesdienste lebte, auf seinen Reisen auch die Residenz
diese Königs besuchte. Sobald er an's Tor kam, fielen die Beamten, die die
vier Fünftel einzunehmen hatten, über ihn her und untersuchten sein
Gepäck; sie fanden aber nur zwei Kleider auf ihm, von denen sie ihm das
eine auszogen, nachdem sie ihn vorher tüchtig durchprügelten. Der
fromme Wanderer schrie: "Wehe euch, ihr Übeltäter, ich bin ein
armer Pilger, was tut ihr mit meinem Kleide? Lasst mir es, oder ich verklage
euch beim Regenten." Sie antworteten: "Wir handeln nach dem Befehle
des Regenten; tue, was du willst!" Da dachte der Wanderer bei sich selbst:
Ich will einmal zum Regenten gehen und sehen, ob diese Leute die Wahrheit
sagen. Er erkundigte sich nach dem königlichen Palaste; aber als er
hineintreten wollte, hielten ihn die Pförtner auf und misshandelten ihn.
Nun dachte er: Es bleibt mir nichts Anderes übrig, als zu warten, bis der
König ausgeht, dann will ich ihm klagen, was mir widerfahren. Während
er so dachte, hörte er, wie Jemand aus dem Palaste sagte: "Der
König geht auf die Jagd." Da freute er sich sehr und stellte sich auf
den Weg, wo der König vorbeireiten musste, grüßte ihn und
sagte: "O König, höre meine Klage! Ich bin ein armer Wanderer,
werde überall gut behandelt, wohin ich mich wende; als ich aber hierher
kam, fielen deine Leute über mich her, schlugen mich und zogen mir ein
Kleid aus; nun bitte ich dich um deinen Beistand." Da sagte der
König: "Wer hieß dich als Fremder meine Stadt betreten?"
Der Wanderer antwortete: "Ich habe gefehlt, o König, ich will nie
mehr diese Stadt betreten, lass mir nur mein Kleid zurückgeben." Der
König versetzte: "Du beklagst dich, dass wir dir dein Kleid genommen
und freuest dich nicht, dass dein Leben verschont geblieben; morgen will ich
dir auch das Leben nehmen." Hierauf ließ ihn der König
einsperren. Der Wanderer bereute es, nicht sein Leben gerettet und lieber sein
Kleid aufgegeben zu haben. Als es Nacht ward, betete er: "O Gott, du
kennst meine Lage diesem Tyrannen gegenüber, ich flehe dich an, rette mich
aus seiner Hand und bestrafe diesen gewalttätigen Mann, der Arme und
Fremde unterdrückt: du bist doch der gerechte und allwissende
Richter." Der Gefängniswärter, der dieses Gebet hörte,
dachte, als um Mitternacht ein Brand ausbrach, der den König mit seiner
ganzen Familie verzehrte und die ganze Stadt in Asche verwandelte, das ist
gewiss nur in Folge des Gebets des Wanderers geschehen; er befreite ihn daher
und rettete sich mit ihm in eine andere Stadt. - "So, mächtiger Herr,
enden ungerechte Tyrannen: sie werden hier von Allen verflucht, und Gottes
Strafe harrt ihrer in jenem Leben. Wir aber, o König, danken Morgens und
Abends dem Herrn, dass er uns einen so edlen und beschützenden Herrn
geschenkt. Wir waren nur darüber betrübt, dass er dir einen Erben
versagt, und fürchteten, es möchte dir Jemand folgen, der die Treue
gegen uns verletze. Nun hat aber der gnädige Gott uns auch von dieser
Sorge befreit, indem er dich mit einem Sohne gesegnet, den er in dauerndem Ruhm
und Glück dir nachfolgen lasse!" Der fünfte Vezier begann:
"Gepriesen sei der allmächtige Gott, der edle Gaben spendet denen,
die in reiner Absicht ihn anflehen, der seine Huld schenkt denen, die durch
einen religiösen Lebenswandel ihm ihre Dankbarkeit bezeigen: So hat auch
Gott dich, o König! der du die höchsten Tugenden besitzest, nach
langer Hoffnungslosigkeit noch mit einem Sohne gesegnet, mit dem wir uns
herzlich freuen, weil wir stets befürchteten, du möchtest ohne
Nachkommen sterben, wir aber in Fehde und Zwiespalt zuletzt untergehen, wie die
Raben durch den Falken." Der König fragte: "Wie war das?"
Geschichte des Falken und der
Raben
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