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Die
tugendhafte Frau eines israelitischen Richters
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 1 ( von 2 )
Man erzählt ferner: Unter den Söhnen Israels war ein Kadhi, der eine
ausgezeichnet schöne Frau hatte, die auch sehr gottesfürchtig war und
oft fastete. Als der Kadhi einst nach Jerusalem wallfahren wollte,
übertrug er das Richteramt seinem Bruder und empfahl ihm auch seine Frau.
Aber der Bruder des Kadhi hatte so oft ihre Schönheit rühmen
hören, dass er sie besuchte und ihre Liebe zu gewinnen suchte. Die Frau
stieß ihn von sich, aber er hörte nicht auf, sie zu verfolgen, bis
sie sich gar nicht mehr vor ihm sehen ließ. Als er endlich alle Hoffnung
verloren hatte, ihre Gunst zu erlangen, und fürchtete, sie möchte ihn
bei seinem Bruder nach seiner Rückkehr anklagen, bestellte er falsche
Zeugen, die sie als Ehebrecherin anklagten; sie wurde vor den damals
regierenden König gebracht, und er verurteilte sie zum Tode. Man legte sie
in eine Grube und warf so viele Steine auf sie, bis sie ganz damit bedeckt war.
Dann sagte der König: "Diese Grube sei ihr Grab." Als die Nacht
heranbrach und die Frau noch schluchzte und stöhnte, kam ein Reisender
vorüber, der sie hörte. Er ging auf sie zu, zog sie aus der Grube
hervor, führte sie zu seiner Gattin und befahl ihr, ihre Wunden zu
pflegen. Sobald sie wieder geheilt war, übergab ihr die Frau des Reisenden
ihr Kind zur Pflege, behielt sie bei sich und wies ihr eine besondere Wohnung
an. Eines Tages sah sie ein Gauner, dem sie so wohl gefiel, dass er zu ihr
schickte und um ihre Liebe sich bewarb. Als sie ihm aber kein Gehör gab,
beschloss er, sie zu töten, schlich des Nachts, als sie schlief, in ihr
Haus und ging mit einem Messer auf sie zu, um sie zu schlachten; aber statt der
Frau traf er den Jungen, der bei ihr war, und schlachtete ihn. Sobald er sein
Versehen wahrnahm, überfiel ihn eine solche Furcht, dass er schnell davon
lief und durch Gottes Gnade die Frau verschonte. Als sie des Morgens erwachte
und das Kind geschlachtet fand, ging sie damit zu seiner Mutter. Aber diese
sagte: "Du hast mein Kind getötet," und schlug sie sehr heftig
und wollte ihr den Hals abschneiden. Glücklicherweise kam ihr Mann hinzu
und befreite die Frau des Kadhi aus seiner Gattin Hand. Jene ging nun mit
einigen Drachmen, die sie bei sich hatte, fort, ohne zu wissen, wohin. Da kam
sie in ein Dorf und sah viele Leute zusammengerottet, und einen Mann noch
lebendig an einem Baumzweige hängend. Sie sagte: "Was hat dieser Mann
begangen?" Man antwortete ihr: "Er hat ein Verbrechen begangen, das
er nun durch den Tod büßen kann oder durch so und so viel
Almosen." Sie zog ihr Geld aus der Tasche und sagte: "Nehmet diese
Drachmen als sein Lösegeld und lasset ihn los." Die Leute nahmen ihr
Geld und befreiten den Mann. Dieser tat sogleich Buße in Gegenwart seiner
Retterin, und gelobte ihr, bis zu seinem Tode Gott treu zu dienen. Er baute ihr
eine Hütte zu ihrer Wohnung und brachte ihr Holz und Lebensmittel. Die
Frau lebte nun ganz der Gottesverehrung, und kein Kranker oder sonst
Unglücklicher kam zu ihr, den sie nicht heilte oder tröstete, so dass
alle Leute für sie beteten und den Segen des Himmels für sie
erflehten. Nun bekam durch Gottes Richterspruch der Bruder des Kadhi, der sie
hatte steinigen lassen, einen Krebs im Gesichte; die Frau, welche sie wegen des
geschlachteten Kindes geschlagen hatte, ward aussätzig, und der Gauner,
der sie hatte verführen wollen und statt ihrer das Kind geschlachtet
hatte, ward lahm. Da die Frau durch ihre Frömmigkeit und die Wunder, die
sie vollbracht, weit und breit berühmt und von allen Teilen des Landes her
besucht ward, sagte der Kadhi, der inzwischen von seiner Wallfahrt
zurückgekehrt war und mit Bedauern von dem Verbrechen und der Strafe
seiner Frau gehört hatte, zu seinem Bruder: "Warum gehst du nicht
auch zu der frommen Frau in die Hütte? Vielleicht wird dich Gott durch sie
heilen." Da bat er den Kadhi, ihn zu ihr zu bringen. Auch der Gatte der
aussätzigen Frau hörte bald von der frommen Frau sprechen und
führte seine Gattin zu ihr.
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