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Rotkäppchen
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 2 ( von 2 )
"Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!"
"Dass ich dich besser sehen kann." "Ei, Großmutter, was
hast du für große Hände!" "Dass ich dich besser
packen kann." "Aber Großmutter, was hast du für ein
entsetzlich großes Maul!" "Dass ich dich besser fressen
kann." Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette
und verschlang das arme Rotkäppchen.
Wie der Wolf seine Gelüste gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett,
schlief ein und fing an überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben
an dem Haus vorbei und dachte: "Wie die alte Frau schnarcht, du musst doch
sehen ob ihr etwas fehlt." Da trat er in die Stube, und wie er vor das
Bette kam, so sah er dass der Wolf darin lag. "Finde ich dich hier, du
alter Sünder", sagte er, " ich habe dich lange gesucht."
Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte
die Großmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten: schoss
nicht, sondern nahm eine Schere und fing an dem schlafenden Wolf den Bauch
aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote
Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen
heraus und rief: "Ach", wie war ich erschrocken, wie wars so dunkel
im dem Wolf seinem Leib!" Und dann kam die alte Großmutter auch noch
lebendig aus dem Leib heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte
geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie
er aufwachte, wollte er fort springen, aber die Steine waren so schwer, dass er
gleich niedersank und sich tot fiel.
Da waren alle drei vergnügt; der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und
ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein
den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen
aber dachte: "du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den
Wald laufen, wenn dies die Mutter verboten hat."
Es wird auch erzählt, dass einmal, als Rotkäppchen der alten
Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen
und es vom Wege habe ableiten wollen. Rotkäppchen aber hütete sich
und ging gerade fort seines Weges und sagte der Großmutter, dass es dem
Wolf begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös aus
den Augen geguckt hätte: "Wenns nicht auf offener Straße
gewesen wäre, er hätte mich gefressen." "Komm", sagte
die Großmutter, "wir wollen die Türe verschließen, dass
er nicht herein kann." Bald danach klopfte der Wolf an und rief:
"Mach auf, Großmutter, ich bin das Rotkäppchen, ich bring dir
Gebackenes." Sie schwiegen aber still und machten die Tür nicht auf:
da schlich der Graukopf etliche Male um das Haus, sprang endlich aufs Dach und
wollte warten bis Rotkäppchen abends nach Haus ginge, dann wollte er ihm
nachschleichen und wollte es in der Dunkelheit fressen. Aber die
Großmutter merkte was er im sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein
großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind: "Nimm den Eimer,
Rotkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser,
worin sie gekocht sind, in den Trog." Rotkäppchen trug so lange, bis
der große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten
dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den
Hals so lang, dass er sich nicht mehr halten konnte, und anfing zu rutschen: so
rutschte er vom Dach herab, gerade in den großen Trog hinein und ertrank.
Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Hause, und tat ihm niemand etwas
zu Leid.
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