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Dornröschen
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 2 ( von 2 )
Rings um das Schloss aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr
höher ward, und endlich das ganze Schloss umzog, und darüber hinaus
wuchs, dass gar nichts mehr davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf dem
Dach. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden
Dornröschen, denn so ward die Königstochter genannt, also dass von
Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloss
dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen, als
hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Jünglinge
blieben darin hängen, konnte sich nicht wieder losmachen und starben eines
jämmerlichen Todes. Nach langen Jahren kam wieder einmal ein
Königssohn in das Land, und hörte wie ein alter Mann von der
Dornenhecke erzählte, es sollte ein Schloss dahinter stehen, in welchem
eine wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit
hundert Jahren schliefe, und mit ihr schliefe der König und die
Königin und der ganze Hofstaat. Er wusste auch von seinem Großvater,
dass schon viele Königssöhne gekommen wären und versucht
hätten durch die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin
hängen geblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der
Jüngling: "Ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das
schöne Dornröschen sehen." Der gute Alte mochte ihm abraten, wie
er wollte, er hörte nicht auf seine Worte.
Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und der Tag war gekommen,
wo Dornröschen wieder erwachen sollte. Als der Königssohn sich der
Dornenhecke näherte, waren es lauter große schöne Blumen, die
taten sich von selbst auseinander und ließen ihn unbeschädigt
hindurch, und hinter ihm taten sie sich wieder als eine Hecke zusammen. Im
Schlosshof sah er die Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen, auf
dem Dache saßen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den
Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der
Wand, der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen
anpacken, und die Magd saß vor dem schwarzen Huhne, das sollte gerupft
werden. Da ging er weiter, und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und
schlafen, und oben bei dem Throne lag der König und die Königin. Da
ging er noch weiter, und alles war so still, dass einer seinen Atem hören
konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der
kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so
schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich
und gab ihm einen Kuss. Wie er es mit dem Kuss berührt hatte, schlug
Dornröschen die Augen auf, erwachte, und blickte ihn ganz freundlich an.
Da gingen sie zusammen herab, und der König erwachte und die Königin,
und der ganze Hofstaat, und sahen einander mit großen Augen an. Und die
Pferde im Hof standen auf und schüttelten sich: die Jagdhunde sprangen und
wedelten: die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unter dem
Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld: die Fliegen an den
Wänden krochen weiter: das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte:
und kochte das Essen: der Braten fing wieder an zu brutzeln: und der Koch gab
dem Jungen eine Ohrfeige, dass er schrie: und die Magd rupfte das Huhn fertig.
Und da wurde die Hochzeit des Königssohnes mit dem Dornröschen in
aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.
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