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Geschichte
der unglücklichen Frau mit dem Bettler
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 1 ( von 1 )
Man erzählt unter Anderem: Ein König verbot einst seinen Untertanen,
Almosen zu geben, und ließ Jedem, der diesem Verbote zuwider handelte,
die Hand abschneiden, so dass Niemand mehr es wagte, den Armen etwas zu
schenken. Eines Abend kam ein hungriger Bettler zu einer Frau und forderte
Almosen. Da sagte ihm die Frau: "Wie kann ich dir Etwas geben? der
König lässt ja Jedem die Hand abhauen, welcher Almosen reicht."
Aber der Bettler beschwor sie so lange bei Gott, sie möchte ihm doch Etwas
geben, dass sie seinen Bitten nicht widerstehen konnte und ihm zwei Leib Brot
schenkte. Sobald der König dies erfuhr, ließ er die Frau rufen und
ihre beiden Hände abschneiden. Nach einiger Zeit sagte der König zu
seiner Mutter: "Ich möchte gern heiraten, wähle mir doch eine
schöne Frau." Seine Mutter antwortete: "In unserer Nachbarschaft
lebt die schönste Frau, die man je gesehen hat; aber sie hat beide
Hände verloren." Der König wünschte sie zu sehen, und als
sie vor ihm erschien, ward er so bezaubert von ihrer Schönheit, dass er
sie heiratete. Aber die Nebenbuhlerinnen der Frau beneideten sie so sehr, dass
sie sie dem König als ein schlechtes Frauenzimmer schilderten. Der
König schrieb dies seiner Mutter und befahl ihr, die von ihr empfohlene
Frau aus dem Harem zu verstoßen. Die Frau wanderte nun, über ihr
Unglück weinend, mit ihrem Kinde am Halse in der Wüste umher, bis sie
an einen Bach gelangte; da kniete sie nieder, um ihren Durst zu löschen,
und ließ das Kind in den Bach fallen. Sie weinte darüber so heftig,
als zwei Männer vorüberkamen und sie fragten, warum sie so weine.
"Mein Kind," schrie die Arme, "ist in's Wasser gefallen."
Sie fragten: "Sollen wir es retten?" Als die Frau sie darum bat,
beteten die Männer zu Gott und das Kind kam unverletzt aus dem Wasser. Sie
fragten dann die Frau: "Wünschest du auch deine beiden Hände
wieder zu haben?" Auf ihre bejahende Antwort beteten die Männer
wieder, und, siehe da! ihre beiden Hände wuchsen wieder hervor, noch
schöner als sie waren. Dann sagte sie ihr: "Weißt du, wer wir
sind?" - "Das weiß nur Gott." - "Wisse denn, wir sind
die zwei Leib Brot, die du dem Bettler gegeben und durch welche du deine beiden
Hände verloren; danke nun Gott, der dir deine beiden Hände
wiedergegeben und dein Kind." Sie dankte und pries Gott und setzte ihren
Weg getröstet fort.
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