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Der
Eseltreiber und der Dieb
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 1 ( von 1 )
Ein leichtsinniger Eseltreiber ging einst auf der Straße und hatte den
Zaum seines Esels in der Hand, den er daran nachschleppte. Zwei Diebe bemerkten
dies, und Einer sagte zum Anderen: "Ich will diesem Manne seinen Esel
entwenden." - "Wie kannst du dies?" fragte der Andere.
"Folge mir nur," erwiderte Jener und ging auf den Esel zu, nahm ihm
den Zaum ab, gab den Esel seinem Freund und legte den Zaum um seinen Kopf, und
ging dem Eigentümer des Esels so lange nach, bis sein Freund mit dem Esel
fort war. Sobald er den Esel in Sicherheit wusste, blieb er stehen; der
Eseltreiber zog am Zaum aber der Dieb ging nicht weiter. Da drehte sich der
Eseltreiber um, und als er den Zaum um den Kopf eines Menschen sah, fragte er
ihn: "Wer bist du?" Der Dieb antwortete: "Ich bin dein Esel und
habe dir eine wunderbare Geschichte zu erzählen. Wisse, ich hatte eine
sehr fromme, alte Mutter; einst kam ich betrunken nach Hause, da sagte sie:
"Mein Sohn, es ist bald Zeit, dass du dich zu Gott bekehrst;" ich
nahm meinen Stock und schlug sie damit; sie verfluchte mich, und Gott
verwandelte mich in einen Esel, und als solcher diene ich dir die ganze Zeit
her. Heute hat nun aber meine Mutter meiner gedacht und mich bemitleidet; darum
hat mir Gott meinen Verstand wiedergegeben und mir wieder die Gestalt eines
Menschen verliehen." Da sagte der Eseltreiber: Es gibt keinen Schutz und
keine Macht, außer bei Gott dem Erhabenen; ich beschwöre dich bei
Gott, erlasse mir meine Schuld!" Der Dieb ließ den Eseltreiber
stehen und ging seines Weges, und der Bestohlene ging tief betrübt nach
Hause. Da fragte ihn seine Frau: "Was ist dir zugestoßen und wo ist
dein Esel?" Er antwortete: "Weißt du es noch nicht?" und
erzählte ihr die Geschichte. "Wehe uns vor Gott!" rief die Frau
aus; "so haben wir die ganze Zeit einen Menschen für einen Esel
arbeiten lassen." Sie flehte dann Gott um Gnade an und teilte Almosen aus.
Nachdem aber der Eseltreiber einige Zeit müßig zu Hause saß,
sagte ihm seine Frau: "Wie lange willst du noch so zu Hause sitzen? Geh'
auf den Markt, kaufe einen andern Esel, mit dem du Etwas erwerben kannst."
Er ging auf den Markt und blieb bei einem Esel stehen, um ihn zu kaufen, auf
einmal erkannte er ihn als seinen früheren Esel. Da sagte er ihm in's Ohr:
"Wehe dir, du Verruchter, warst du schon wieder betrunken und hast deine
Mutter geschlagen? Bei Gott! ich kaufe dich nicht mehr." Er ließ den
Esel dann stehen und ging fort.
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